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DER NACHGEDICHTETE NACHDICHTER — ÁRPÁD TÓTH DEUTSCH ins Ungarische, sondern auch ins Tóth Árpádische übersetzt. Ein Fehler? Falsch individualisiertes Verstándnis der Funktion der Nachdichtung überhaupt? Ganz im Gegenteil! Keines von beiden. Und in seinem Falle besonders nicht! Da wird diese seine Verfahrensweise geradezu zu einer Tugend. Wenn man nämlich die Nachdichtung als eine künstlerische, also eine schöpferischgestalterische Tätigkeit ansieht (und wie denn sonst?), so liefert gerade Ärpäd Töth dafür das exemplarische Beispiel. Die bravouröse Handhabung der poetischen Sprache - und zwar seiner ureigensten poetischen Sprache - ermöglichte ihm z. B. oft einen ähnlichen oder zumindest adäquaten Wortklang der Verse, manchmal sogar Reimwörter zu vermitteln wie im fremden Gedicht. Läszlö Kardos bringt für Letzteres eine ganze Reihe von hervorragenden Beispielen in seiner Töth-Monographie.° Die ungarischen Reime klingen damit nicht selten mehr oder weniger mit denen des Originals zusammen. So z. B. das Krächzen des Raben in dem PoeGedicht mit dem mehrfachen „never more“ ungarisch mit „soha mär“ (also more — mdr), wozu dann auch im Ungarischen eine Unmenge von Reimwörtern tremulanten Ausklangs gewahlt werden musste: bazár, a zár — szénsugár, halva bár — vén madár, mély vad ár usw. Diese Reimlösung ist umso mehr ein Volltreffer, als ja der Rabe für den Ungarn „kär-kär“ krächzt. Eine in Ungarn allgemein bekannte und viel zitierte Meisterleistung war auch die Übertragung des Herbstliedes von Verlaine. In der ersten Strophe des Originals bediente sich der französische Dichter einer Häufung von nasalen Konsonanten und Vokalen, um die Monotonie herbstlicher Vergänglichkeitsahnungen stimmungsvoll zu verdeutlichen. In sechs Kurzversen gibt es dabei 10 nasale Laute: Les sanglots long Des violons De l'automne Blessent mon coeur D'une langeur Monotone. Man kann den Klang der ungarischen Sprache unterschiedlich charakterisieren. Ich glaube, niemand kame auf die Idee, dass dieser Klang nasal sei. Im Ungarischen gibt es keine nasalen Vokale, nur Konsonanten. Aber die gibt es, und nach einem dunklen „o“ ein „n“ im Ausklang und besonders, wenn anschließend dem „n“ noch ein palatovelares „g“ folgt, ist es durchaus möglich, dass auch der Vokal einen Hauch von nasalem Klang erhält. Ärpäd Töth wählt 6 Kardos, László: Toth Arpad. 2. Aufl. Budapest: Akadémiai Kiadö [Akademischer Verlag], 1968, 4915.