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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Übereinstimmungen der verschiedenen Konföderationsangebote dürfen uns natürlich über die erheblichen Differenzen in den weltanschaulichen Motivationen und in den politischen Zielen der Verfasser keineswegs hinwegtáuschen. (Nicht unabhángig davon mögen freilich auch die historische Fundiertheit und die jeweilige politische Aktualitát der einzelnen Publikationen sowie der Grad der Verbundenheit der Autoren mit dem Kossuthschen Erbe zu den Unterschieden beigetragen haben.) Der linksliberale Oszkár Jászi wandte sich z. B. in Kossuths Namen mit einem breit aufgefácherten Argumenten-Katalog vor allem gegen die bereits ruinierte Habsburg-Monarchie" und für die , Liguidierung" der dualistischen Verfassung.°° Auch Robert Gragger legte fest, dass der Dualismus nicht mehr imstande gewesen sei, die aktuellen Probleme der Region zu lösen, aber der Tenor seiner entschiedenen Kritik galt im Dezember 1919" nicht mehr der Vergangenheit, sondern den „neuen Machthabern“ in der Gegenwart, d. h. den ,,Siegern“” des Ersten Weltkrieges, die die seit einem Jahrtausend miteinander verbundenen „Völker“ im Karpatenraum ohne ihre „freie Einwilligung“ voneinander trennen und „gegen ihren Willen in ihre neuen hybriden Staatsgebilde zwingen [...] wollen.“°* Von wesentlich größerer Bedeutung, als solcherart abweichende Beweggründe, sind die prinzipiellen weltanschaulichen Differenzen in den jeweiligen politischen Zielsetzungen der Verfasser. Oszkär Jäszi versuchte den KossuthPlan unter Berücksichtigung der neuen europapolitischen Entwicklungstendenzen grundsätzlich zu verändern, wobei er seine liberalen Grundpositionen mit einer Art politischer Entente-Orientierung verband.” So konzipierte er im Sinne seines konsequenten Internationalismus Vorstellungen von einer Art Vereinigten Staaten Mitteleuropas“ in einem auch territorial und demographisch nahezu viermal größeren Land, als es der Kossuth-Plan entwarf.°’ Buchverlag] 1986, S. 585-599. (Am 19. März 1944, als die Deutschen Ungarn okkupierten und Bajcsy-Zsilinszky unter den ersten verhaften wollten, leistete er in seiner Wohnung mit der Waffe in der Hand Widerstand. Er wurde am 24. Dezember 1944 in Sopron hingerichtet.) Jaszi, A monarchia jövöje, S. 23. Ebd., S. 29. D. h., als die Vorhaben der Siegermächte über die neue Ordnung bereits unmissverständlich allgemein bekannt wurden. Gragger, Die Donau-Konföderation, S. 4. Kossuths Worte vom unerlässlichen Mitbestimmungsrecht der Völker, zitiert aus Gragger, ebd. S. 8. Graggers Kommentar, ebd. S. 4 f. Vgl. dazu Jözsef Galäntais Nachwort in Jaszi, S. 128. Man lese dazu Jäszis Untertitel: „Der Verfall des Dualismus und die Vereinigten Staaten der Donau-Region.“ (Hervorhebung L. T.) Laut Jäszis Vorwort gehe es in seiner neuen „Konzeption“ um einen erheblich größeren geographischen Raum als der der „Donau-Region“. Letzteres Wort sei demnach lediglich ein Hinweis auf Kossuth gewesen. Siehe Jaszi, A monarchia jövője, S. 7. Die Unterschiede sind diesbezüglich eindeutig: Jäszi erweiterte die Kossuth’sche Konföderation um Polen (wegen der deutlicheren Balance zwischen Russland und Deutschland), weiterhin um Österreich (was für Kossuth auf Grund seiner politischen Erfahrungen von 1848/1849 4 © 5 Ss 5 52 5 0 54 5 a 5 a 5 a s 194 ¢