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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE oder (pure) Unterhaltung. Adorno schrieb darüber u. a.: „Was wir jedoch mit reiner Lyrik meinen [...], hat, je ‚reiner‘ es sich gibt, das Moment des Bruches in sich. Das Ich, das in Lyrik laut wird, ist eines, das sich als dem Kollektiv, der Objektivität entgegengesetztes bestimmt und ausdrückt.“'® Daran mangelte es in der literaturhistorisch repräsentativen Lyrik der ersten Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht mehr. SCHILLERS SPÄTLYRIK IN LITERATURHISTORISCHEN HANDBÜCHERN Man kann sich wohl fragen, was diese in der späten Lyrik Schillers typische Aussage gehaltstypologisch, also abgesehen von manchen individuellen poetischen Formen, von jener der sogenannten Romantiker trennt — und was sie mit der in der deutschen Literaturgeschichte mit dem Etikett der Hochklassik versehenen Lyrik von Goethe verbindet. Es ist bekannt, dass Schillers späte Lyrik im Schatten seiner letzten Dramen keinen vornehmen Platz in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung sowie in dem deutschen Schulunterricht einnimmt. Der Anteil der kurz vor und nach der Jahrhundertwende behandelten und/oder aufgezählten Schiller-Gedichte beträgt in der Literaturgeschichte von Gerhard Schulz!’ etwa 10:1 und von Zmegaé'® 10:3. Von Schulz wird ausführlicher aus den letzten Jahren lediglich das Jahrhundertwendegedicht besprochen. Im zu Unterrichtszwecken veröffentlichten und ausschließlich den Goethe- und Schillerwerken gewidmeten Klassik-Band der Erläuterungen zur deutschen Literatur wurde einst auf 507 Seiten kein einziges Gedicht aus den letzten fünf sogenannten hochklassischen Jahren Schillers genannt.'? Auch das Schillerkapitel Gedichte und Balladen (1795-1805) im 7. Band der Geschichte der deutschen Literatur behandelte eigentlich nur Gedichte bis 1800. Den übrigen fünf Jahren galt ein kurzer Absatz, in dem die bloße Aufzählung von Balladentiteln erfolgte, die als „späte Nachkömmlinge“ ohne jede Wertung und Unterscheidung gehaltstypologisch den früheren gleichgestellt wurden. Schließlich findet man einen Satz über das Gedicht Die vier Weltalter, das ein Bild vom „widerspruchsvollen Aufstieg der Menschheit“ zu zeichnen 1 Th. W. Adorno: Rede über Lyrik und Gesellschaft. In: Adorno Theodor W.: Noten zur Literatur. Hg. von Rolf Tieckmann, 1974, S. 53. 77 Schulz, Gerhard: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. 2 Bde. München: C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1983, Bd. 1, S. 582-587 u. 596-614. (= de Boor-Newald VII/1 u. 2.) 18 Zmegaé, Viktor: Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 2. Bde. 1700-1848. Königstein: Athenäum, Bd. 1, S. 50-56. 1% Goethes und Schillers Lyrik (1794-1805). In: Klassik. Erläuterungen zur deutschen Literatur. Berlin: Volk und Wissen Verlag, 1965. S. 298-323. (= Bibliothek des Lehrers) ?° Gedichte und Balladen (1795-1805). In: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 7: 1789 bis 1830. Berlin: Volk und Wissen Verlag, 1960 ff, S. 227-238. + 148 +