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WIRKLICHKEIT UND MODELYRIK UM 1800 So singt die Nachtigall in Blüthenzweigen. Dein Strahl, der sie beseelt, und sie nicht kennet, Die Sonne, die durch alle Himmel funkelt.? Dafür fühlte sie sich dann 1818 zu öffentlicher Entschuldigung und zu peinlichen Erklárungen gezwungen, wonach sie mit dem Sonett keineswegs eine „elende Schmeichelei“ bezweckt habe, ganz im Gegenteil sei dieses Gedicht damals ein „Freipass“ für ihre Sammlung gewesen, die ansonsten viele „Andeutungen einer Hoffnung zu Deutschlands Befreiung“ |!) enthalte, schließlich, dass sie das Sonett dem Kaiser nicht zuschickte, obgleich, wie sie behauptete, [...] diese Sendung hinreichend gewesen wäre, mir den Weg zum Glück zu bahnen [...] Ich that es nicht, unverkennbar ist es, daß ich zu redlich und stolz war, mein Glück dem Tyrannen danken zu wollen, den ich laut verabscheute, so daß mich Freunde baten, vorsichtiger in meinen Reden zu seyn.” Viele politische Gedichte, vor allem Kriegslieder, waren um diese Zeit auch auf fliegenden Blättern verbreitet. Dabei ist es eigenartig, wie freizügig man von der Französischen Revolution bis zu den Befreiungskriegen mit dem politischen Gehalt dieser Lieder umging. Die politische Aussage wurde den jeweiligen aktuellen Bedürfnissen entsprechend ohne viel Bedenken umstrukturiert: Aus dem jakobinischen Gedicht mit dem Versanfang Muth, Muth! Franken schrieb man Strophe für Strophe ein konterrevolutionäres Lied,'! aus dem franzosenfreundlichen Seyd Lustig ihr Brüder das franzosenfeindliche Seid lustig ihr Brüder!...””, aus Schubarts auf fliegenden Blättern besonders weit verbreitetem Kaplied eine ganze Reihe von Kriegsliedern gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich, darunter viele preußische Soldatenlieder.'? ° Chezy, Helmina von: Gedichte der Enkelin der Karschin. 2 Bde. Aschaffenburg, 1812, Bd. 1, S. 36. 1 Chézy, Helmina von: Aurikeln. Eine Blumengabe von deutschen Händen. Berlin, 1818, S. 150-152. Arien und Lieder, o. O. u. J. Weimar: Anna-Amalia Bibliothek, Signatur: Dd, 3: 633 H. 12 [Solbrigscher Kennbuchstabe:] „(X“: „Acht schöne neue Lieder“ [darin:] „Das Zweyte. Muth, Muth! Franken erbebt...“ Die franzosenfeindliche Variante siehe in Volkslieder, o. O., 0. J., Deutsche Staatsbibliothek, Berlin. Signatur: Yd 7922, H. 16: „Vier schöne Neue Lieder“ [darin:] „Das Dritte. Muth! Muth! Auf Krieger bebet etc.“ Diese und weitere Varianten siehe in T.,L. (Hg.): Verbotene Lieder und ihre Varianten auf fliegenden Blättern um 1800. Budapest: ELTE, 1983, S. 136-138, Nr. 22a u. 22c. Volkslieder, ebd., Yd 7919, H. 47: „Drei schöne neue Lieder [darin:] Das Erste. Das Landauer Lied. Seyd lustig, ihr Brüder“. Die franzosenfeindliche Variante siehe in: Volkslieder, 1787-1815. 0. ©. Deutsche Staatsbibliothek/Berlin. Signatur: Yd 7916, H. 15: „Drei neue Kriegslieder“ [darin:] „Das Zweite. Seid lustig, ihr Brüder!“ Siehe auch Verbotene Lieder, Nr. 36b u. c, S. 165-167. 13 Zwölf Varianten des Kapliedes siehe ebd., Nr. 76a—76l, S. 239-256. 1 E 1 DS + 133 +