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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE TEXTVERGLEICH 1: DAS EINSIEDEL-GEDICHT UND SEIN VORBILD Der Vergleich der letzten 5 Verse in dem jeweils letzten Absatz der zwei Goethe-Varianten und der letzten Strophe des Einsiedel-Gedichtes beweist mit zwingender Deutlichkeit, dass Einsiedel die zweite (seinerzeit die eigentlich zugángliche) Fassung des An Schwager Kronos-Gedichtes von Goethe als Vorlage gedient hatte. Beziehungen zum ursprünglichen, im Oktober 1774 datierten Text sind ebenda lediglich zwischen den jeweiligen ersten Versen nachweisbar; die ersten zwei Verse der letzten Strophe sind aber die einzigen, die Goethe anderthalb Jahrzehnte spater in seiner zweiten Variante nahezu unverändert ließ. (A): Tabelle 1 Schlussverse der 1. Fassung Goethes (A) Töne, Schwager, dein Horn, (B) Raßle den schallenden Trab, Dass der Orkus vernehme: ein Fürst kommt, Drunten von ihren Sitzen Sich die Gewaltigen lüften. Schlussverse der 2. Fassung Goethes Töne, Schwager, ins Horn, Raßle den schallenden Trab, Dass der Orkus vernehme: wir kommen, Dass gleich an der Türe Der Wirt uns freundlich Schlussstrophe Einsiedels Blase, guter Kronos, blase! Dieser Schild bringt Ruh und Rast. Sieh den Wirt mit kahler Rippe Nakt am Schädel mit der Hippe, Ha! Er winkt dem neuen Gast. empfange. Während die letzten zwei Verse mit dem grotesk wirkenden Bild der zwischen Sitzen und Stehen etwas angehobenen und für die poetische Momentaufnahme erstarrten Körperhaltung der „Gewaltigen“ die maßlos staunende Bewunderung für das hereinstürmende Dichter-Genie nachempfinden lassen, vermittelt die freundliche Geste des in der Tür wartenden Wirtes (in den Schlussversen der 2. Fassung Goethes) geradezu Konnotationsmöglichkeiten, wie man diesen in den letzten Bildern Einsiedels von dem zur „Ruh und Rast“? einladenden Wirtshaus und dem seinem Gast freundlich zuwinkenden Wirt begegnen kann (B). Die ausgesparten anderthalb Verse Einsiedels (mit kahler Rippe / Nakt am Schädel mit der Hippe / Ha!) verweisen auf wichtige inhaltliche Differenzen zu den vergleichbaren Gedichten.°° ®* Es ist nicht auszuschließen, dass auch dieses Wort in Einsiedels Gedicht auf Goethes Wirkung zurückgeht, wurde es doch in Goethes Lyrik von der Übersiedlung nach Weimar bis in die ausgehenden siebziger Jahre mit besonderer Vorliebe und vor allem mit einer recht hohen Frequenz verwendet. Siehe u. a. „Rastlose Liebe“, „Jägers Nachtlied“, sowie „An den Mond“ (2. Fassung)! 35 Vgl. dazu den Abschnitt „Textvergleich 4: Kontroverse Ideen“! + 118 +