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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Diese Beispiele für Fragesátze in Goethes Lyrik aus der Anfangszeit in Weimar veranschaulichen allerdings im Vergleich mit denen der Frankfurter Gedichte im Jahre 1775 einen wesentlichen Unterschied. Attitüden der Unschlüssigkeit wurden in der angehenden Weimarer Lyrik nicht mehr nur auf private Angelegenheiten beschrankt, sondern auf eine neue Art der Beziehungen des Dichters zu seiner ganzen Umwelt übertragen und damit erweitert und verallgemeinert. Die direkte Begegnung mit dem „Leben“, dem in Weimar „die Schriftstellerey“ „subordiniert“ werden sollte”, die Gelegenheiten, die von nun an für die gesellschaftlich nützliche Tätigkeit zu entstehen schienen, ermöglichten Entscheidungen bzw. die dazu notwendige und zweckmäßige menschliche Einstellung und Haltung zu überlegen, wie das früher nicht einmal perspektivisch vorzustellen war. Diese Überlegungen setzten natürlich auch die erste Konfrontation der antizipierten Ideen und der nun vermeinten Möglichkeiten des praktischen Handelns voraus. Unterdessen bedurften die früher ins Unbegrenzte auslaufenden Anschauungen der Genieperiode um 1776 in der Praxis immer wieder ihrer notwendigen Korrektur bzw. Einschränkung, um den Glauben an eine, wenn auch nicht mehr alles durchgreifende, so zumindest momentan praktische Wirksamkeit des Individuums einigermaßen befestigen zu können. Somit waren aber diese Überlegungen vielfach mit Unsicherheit und Unschlüssigkeit in den zu fassenden Urteilen verbunden. Vor allem diesen grundsätzlichen Veränderungen in der Beziehung zur Wirklichkeit war die Erweiterung des Gehaltes der poetischen Fragen in der Lyrik vom November 1775 an zu verdanken. Die neue Motivation von Fragen wie „Ach, was soll der Mensch verlangen?“ in Beherzigung oder „Willst du immer weiter schweifen?“ in Erinnerung” war vor der Weimarer Zeit in Goethes Lyrik in keiner Weise vorstellbar. Im Entstehungsjahr des Prometheus und des Ganymed hätte die Antwort auf die erste Frage nur „Alles“, auf die zweite nur ein entschiedenes „Ja“ gewesen sein können. Bezeichnend für die Fragen in diesen Gedichten ist aber auch, dass sie größtenteils ohne Fragewort mit einer Bejahung oder Verneinung zu entscheidenden Fragen sind; doch wich der Dichter so einer die vielseitig zusammengesetzten Wirklichkeitsbezüge simplifizierenden Antwort jeweils aus. In Beherzigung soll auf die Fragenserie jeder seinen Veranlagungen entsprechend die Antwort finden: „Eines schickt sich nicht für alle!“ Und wenn dieses Urteil um 1776 im Verhältnis zu den früheren Sturm-und-Drang-Gedichten in dieser Form und in diesem Kontext sicherlich fremd klingen mag, so können noch sämtliche logischen Beziehungen zur Geniekonzeption, welche die unterschied?8 Goethe an J. C. Kestner, 14. 5. 1780 (= Weimarer Ausgabe IV, Bd. 4, Nr. 949), S. 221. 29 Ebd., S. 48.