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LÁSZLÓ TARNÓI: SCHNITTPUNKTE. STUDIEN ZUR GERMANISTIK UND HUNGAROLOGIE Harsdörffer setzte sich mit überzeugenden Argumenten für die vielerlei Erwágungs- und Rezeptionsmöglichkeiten von metaphorischen Botschaften in der Poesie ein. Diese — so erklárte er — vergnügen den Verstand, sofern man zwischen „Gleichheit und Ungleichheit“ der „gegeneinander gehaltenen“ „Sachen“, ja sogar „Wahrheiten“ zu der jeweiligen Erkenntnis komme. Je „weiter“ sich dabei der Spielraum zwischen den „Sachen“, d. h. den Bestandteilen des Gleichnisses (bzw. der Metapher) „erstrecke“, umso größer dürfte ihm zufolge auch die poetische Wirkung sein: Durch die Gegenhaltung gleichständiger Sachen / wann man viel aufeinmahl anschauet / und solche gegeneinander hält / ihre Gleichheit und Ungleichheit betrachtet / und diese Erkäntniß vergnüget den Verstand so vielmehr / so viel weiter sie sich erstrecket | [...] / und gleichsam von einer Wahrheit in die andre leitet [...]?® Ansichten solcher Art schlossen sich in ihrer Tendenz im Grunde genommen Vorstellungen kommender Jahrhunderte an, wie sie z. B. im 18. Jahrhundert von der klassizistischen Kunsttheorie eines Winckelmann? und Lessing" oder z. B. in den angehenden fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem Ungarn Milán Füst" vertreten wurden bzw. wie sie freilich auch in der neuesten Zeit in den allgemein verbreiteten Kenntnissen über die interaktive Kommunikation von Leser- und Autorenpositionen kursieren. Der gekonnte Umgang mit poetischen Bildern, Gleichnissen und Metaphern erwies sich ohnehin in der lyrischen Praxis des deutschen Barock als ein besonderes Oualitátsmerkmal, das diese Dichtung von jener der unmittelbaren Vorgänger (im ausgehenden 16. Jahrhundert) und Nachfolger (der Dichter der deutschen Frühaufklärung nach 1720) in hohem Maße unterscheidet und auch die Wege für ihre Aufnahme durch anspruchsvollere Leser der Nachwelt öffnet. ®® Harsdörffer, Poetischer Trichter. Bd. 1, S. 57. (Hervorhebung L. T.) Vgl. dazu auch Füst, Lätomás és indulat a művészetben, S. 309. a[--.] der Künstler [...] soll mehr zu denken hinterlassen, als was er dem Auge gezeigt, und diese wird der Kiinstler erhalten, wenn er seine Gedanken in Allegorien [...] einzukleiden gelernt hat.“ Aus J. J. Winckelmanns Schlussworten seiner ,Gedanken über die Nachahmung ..“ von 1755. »[...] fruchtbar ist, was der Einbildungskraft freies Spiel lässt. Je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzu denken können. Je mehr wir dazu denken, desto mehr müssen wir zu sehen glauben.“ Aus dem 3. Abschnitt von G. E. Lessings „Laokoon“ von 1766. M. Füst wiederholte des Öfteren in seinen berühmten Samstagsvorlesungen seine These, nach der je dramatischer der Gegensatz innerhalb eines Vergleichs sei, umso wirksamer sei auch dessen ästhetisch-poetische Wirkung, da dieser die Vorstellungen der jeweiligen Adressaten gleicherweise in erhöhtem Maße in Bewegung setze. Siehe Füst, Milän: Hatodik elöadäs [Sechste Vorlesung.] In: F., M.: Latomas és indulat a müveszetben, S. 309. 39 4 S 4. E « 38 «