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KOSMISCHE METAPHERN DER VERLORENEN ZUVERSICHT IN DER DEUTSCHEN BAROCKLYRIK! Das Weltbild des Menschen wird im Grunde genommen von den jeweiligen Verhältnissen in den zwischenmenschlichen Beziehungen seines Lebens geprägt. Vor allem aus diesen entstehen Glauben und Hoffnungen oder gar Perspektivverluste und Ängste bis zu tief greifenden Verzweiflungen, die letzten Endes die jeweilige Sicht auf die Welt und die Gesellschaft mit unvergleichbar deutlicheren Folgen bestimmen als manche kultur- und/oder wissenschaftsgeschichtlichen Er-/Kenntnisse — welcher Art auch immer diese sein mögen. Letztere wirken höchstens als geistige Katalysatoren, die unter Umständen lediglich die Konturen der im Prinzip sozialbedingten Weltanschauung einschärfen. DIE KOSMISCHEN ENTDECKUNGEN DER FRÜHEN NEUZEIT UND DIE UNTERSCHIEDE IHRER LITERARISCHEN REZEPTION IN DEUTSCHLAND VOR UND NACH 1720 Nie zuvor entstanden in der Geschichte der Menschheit innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit von knappen anderthalb Jahrhunderten ganze Serien von so bedeutenden naturwissenschaftlichen Hypothesen, Entdeckungen und Beweisführungen, wie jene der frühen Neuzeit, u.a. von Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Christoph Clavius (1537-1612), Tycho Brache (1546-1601), Giordano Bruno (1548-1600), Galileo Galilei (1564-1642), Johannes Kepler (15711630), Christoph Scheiner (1573-1650), Johannes Fabricius (1587-1615) bis einschließlich von Isaac Newton (1643-1727) und von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Sie eröffneten ja die Sicht des Menschen von der Erde in die unendlichen Weiten des Weltraums, worin sich plötzlich sämtliche Himmelskörper - einschließlich der Erde und der Sonne - in Bewegung setzten, dabei Monde um die Planeten kreisten, Konturen von Sonnenflecken erschienen, ja sogar neue Sonnensysteme aufschimmerten. Die von der Mitte des 16. Jahrhunderts an rational durchdachten mathematischen und physikalischen Argumente für die heliozentrische Betrachtung des Universums, die rund fünf Jahrzehnte später - dank der Erfindung und Anwendung des Fernrohrs — immer überzeugender auch empirisch unter! Die ursprüngliche Fassung erschien in: „das Leben in der Poesie“. Festschrift fiir Magdolna Orosz zum 60. Geburtstag. Zusammengestellt v. Balogh, F. András u. Varga, Péter. Budapest: ELTE Germanistisches Institut, 2011, S. 244-260. (= Budapester Beiträge zur Germanistik, Bd. 57) «27»