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7. OPPOSITIONELLE ÁTTITÜDEN — DEUTSCHSPRACHIG (GLÜCK AUF DES MESSERS SCHNEIDE) Sich klug und bewusst in die Ordnung der neuen Umwelt zu fügen, hieß das Rezept der Ungarndeutschen. Genau dies wurde von Johann Wilhelm Brandscheid, einem Ofner Dichter in Worte gefasst: Auf einer Flotte steht der ganze Menschen Haufen Doch darf auch jeder nicht zum Steuer Ruder laufen Der Eine hat das Amt und Weissung bey der Kammer, Der Andre windet Gold, der Dritte braucht den Hammer, Der Vierte dient mit Hülf, der Fünfte mit dem Rathe; Wenn dann ein jedes Glied sein Pflicht erfüllt im Staate: Dann blühet Glück und Ruh in allen Menschen Klassen‘! Mit so einer Haltung konnten gewiss auch der junge Schwabe und seine mitreisenden Landsleute getrost dem Glück hoffnungsvoll ins Auge schauen, nicht der fortuna, dem Zufall, der günstigen Fügung, wie die erste Bedeutung des deutschen Wortes in den Wörterbüchern verzeichnet ist,” vielmehr dagegen der felicitas, der beatitudo, denen nicht nur die unternehmungslustigen jungen deutschen Umsiedler eine entscheidend größere Bedeutung als jener beigemessen haben durften, sondern die auch unter allgemeinen sozialhistorischen Aspekten wesentlich relevanter als fortuna sind. Dabei geht es für die einzelnen wie auch für die Allgemeinheit weniger um zufällige Gewinne oder Verluste, sondern eher (mit den Dudenworten) um eine „angenehme und freudige Gemütsverfassung, in der man sich befindet, wenn man in den Besitz oder Genuss von etwas kommt, was man sich gewünscht hat,“ mit den entsprechenden Wörterbuch-Beispielen um „das wahre Glück“ bzw. um „ein zartes, ungetrübtes Glück“ im Falle der jungen Menschen vermutlicher Weise sogar, wie es im Sprachbrockhaus so schön heißt, um den Zustand tiefer Befriedigung.‘* Und weil aus dem Leben auch damals die zufälligen Gaben oder gar manche Schicksalsschläge durch die Göttin Fortuna nicht auszuklammern waren, so griff man seinerzeit — der aufgeklärten und trivialpoetischen Mode gerecht zu den ein klein wenig stoisch getönten populärphilosophischen Abstracta, 61 Brandscheid, Johann Wilhelm: Tempus et Fortuna fallunt. Ein Neu-Jahrs Localschrift. Zum Vergnügen der Edlen Bewohner der beyden königlichen Freystädten Ofen und Pest. Ofen: [1798] auf das Jahr 1799, S. 16. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 77 £. Professor Schedius setzte höhere Maßstäbe an die Poesie: Er kritisierte Brandscheids Trivialdichtung mit scharfen Worten. In: Literärischer Anzeiger für Ungern, 1798, Nr. 4. sowie in: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 331 £. © Duden. Deutsches Universalwérterbuch. Hg. vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter der Leitung v. Günther Drosdowski. Mannheim / Wien / Zürich: Dudenverlag, 1983, S. 504. und Der Sprachbrockhaus. 9. Aufl. Wiesbaden: F. A. Brockhaus, 1984, S. 316. 6% Duden, S. 504. 6 Sprachbrockhaus, S. 316.