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4. LUSTIGE BERICHTE EINES TÖLPELS AUS DEM ALTEN PEST-OFEN IN BRIEFEN derfen. Es hat mi fralli ein klans Geldl kost, denn der dicke prokrater hat mi wieder nit grissen; aber er hat gsagt, i soll mir’s nit greuen lassen, dass sand verdienste, die man gar in die Instanza nit braucht einisetzen, und sie than doch ihre Wirkung; andere Verdiensi sand, meint er, fiir mi so nit vill da bei Hantn. Noh, dass ich’s also schon gar ausverzahl, der hat mi also zu ein grossen Herrn gführt; der mi da ausfragt hat, wie i haf, wer i bin, was i fiir Studi absorbirt hab, und das alles. I hab mi nit glai verwußt, und sag, dass i von die Schuln schon wecker bin. Da hat mi aber der Prinzipalist nit in der Verlegenheit lassen.” Sowohl unter literarischen als auch unter kulturhistorischen Aspekten verdienen die Handlung begleitenden Bilder und Informationen vom alten deutschsprachigen Pest-Ofen, von seinen Biirgern sowie deren Lebensverhaltnisse und Denkweise ein besonderes Interesse. Geschickt wurden diese mit der eigentlichen Handlung verflochten. Wenn Michael z. B. im vierten Brief des ersten Heftes aus der katastrophalen Lage des gescheiterten „Studenten“ die traurige Folgerung zog, ein „Pflostertretter“ werden zu müssen, berichtete er auf seine stets witzige Art auch von der Beschaffenheit der Pflastersteine und von ihrer technischen Nutzung in den Pest-Ofener Straßen. Man erfährt in den Briefberichten auch recht vieles von dem Verkehr in den Straßen, auf der Schiffsbrücke, von den Unterschieden der beiden Städte und ihrer Stadteile. Man liest vom Hochwasser der Donau, von Märkten, steigenden Preisen, vom Hagelwetter auf den Ofner Weinberghängen, von Bällen, Kirchtagen, Hofieren, freundschaftlichen Beziehungen, den letzten Tagen des merkwürdigen Pester Kreutzer-Theaters (eigentlich kurz vor dessen endgültiger Schließung). Man erinnere sich dabei an die teils naserümpfenden, teils überschwänglich begeisterten Augenzeugenberichte zeitgenössischer Intellektueller: Ernst Moritz Arndt berichtete mit herablassender Ironie von dem Publikum (dem „Bienenschwärmen der losesten und lockersten Jugend“ insbesondere der „losen Mädchen“), von den Aufführungen (der „untersten Harlekinaden“ mit niveaulosem Spiel) und von den „wunderlustigen“ „Intermezzi“ zwischen den Akten, als sich die Schauspieler und Zuschauer „für 2, 3 Kreuzer“ aus „den zur linken Seite des Orchesters hingepflanzten beiden Fässern, der Ceres oder des Bacchus nach Gefallen zapften“.** Ignaz Castelli hielt die Tricks des Kasperls mit Abscheu fiir ,unflätig".%* Dagegen gedachten T. Hybl und Anton Benkert Jahrzehnte später noch mit hoher Anerkennung der „Glanzperiode dieser Anstalt“ mit ihren einmaligen „Herrlichkeiten“, insbesondere der 32 21. Brief im 2. Heft, S. 45. ® Arndt, Ernst Moritz: Erinnerungen an Ungern. Ein kleines Anhängsel. In: Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 u. 1799. 1. Theil. 2. verb. u. vermehrte Aufl. Leipzig: Heinrich Gräff, 1804, S. 308-310. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3.,S. 250. 34 Castelli, Ignaz Franz: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes. Erlebtes und Erstrebtes. Bd. 1. München / Berlin: G. Müller, 1913, S. 150 f. «217 +