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3. MODETRENDS IN DER BELLETRISTISCHEN PROSALITERATUR DER UNGARNDEUTSCHEN Wie weit ich dem Fingerzeige dieses Dichters gefolget, soll der Kenner entscheiden, dessen strengster Tadel selbst mir nicht unwillkommen seyn wird. Was nun auch die Eiferer gegen den moralischen Roman, und das so genannte Familiegemählde sagen mögen, kümmert mich nicht. Zur Schande unserer aufgeklärten Zeiten las ich letzthin mit gerechtem Unwillen irgendwo eine Stelle, die uns, wenn sie Anhänger findet, den nächsten Weg zur primitiven Eichelkost zeigt. Ich will sie meinen Lesern der Seltenheit wegen ausheben. „Es ist gar keine Frage“, sagt der Verfasser der Briefe [Schleiermacher, L. T.] über Schlegels Lucinde, Seite 129, „ob ein Kunstwerk moralisch sey, ja es zeigt von der Kindheit der Kunst, wenn man bey dem Gedichte oder Roman nach der moralischen Tendenz frägt, und dadurch den Werth oder Unwerth desselben angibt.“ Und so kann der Herr Verfasser mit Montaigne ausrufen: non pudet dicere, quod non pudet sentire. Ich gonne ihm diese schandliche Licenz.”° Dass Gruber im Jahre 1803 den deutschen Frühromantikern nicht zugetan war, soll man ihm nicht verdenken. Auch die deutsche Elite samt Schiller und Goethe, hatten von ihren Vorstellungen über die Poesie keine viel bessere Meinung. Auch Grubers Festhalten an den bereits anachronistischen poetischen Prinzipien der Aufklärung widersprach in der Zeit desangehenden 19. Jahrhunderts nicht der allgemeinen Einstellung dazu unter den Lesern und der meisten Erfolgsautoren. Um Gruber und seinen ungarndeutschen Zeitgenossen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen sollte man dabei auch Gedanken darüber machen, ob die zeitgenössische ungarische Elite um 1800 (oder auch später) irgendeinen Anschluss an die modernen Denker und Dichter der deutschen Frühromantik finden konnte,” bzw. ob aus jener Zeit bedeutendere ungarische belletristische Prosawerke auf die späteren Nachkommen tradiert wurden. Möglicherweise werden auch unter diesen Aspekten manche Parallelen, vielleicht sogar einige Übereinstimmungen, zwischen der deutschen und ungarischen Dichtung des Königreichs deutlich. 25 Gruber, An meine Leser. In: Gruber, Die Försterfamilie, S. VI-VII. 26 Jedenfalls lehnte sie Kazinczy entschieden ab. Vgl. dazu seine Briefe an Karl Georg Rumy v. 1809 und 1810. Auch außerdem hatten die deutschen Frühromantiker keine beeindruckenden Spuren in der Entwicklung der ungarischen Literaturgeschichte hinterlassen. Vgl. dazu auch meine Zusammenfassung zum Thema unter dem Titel ,Verfremdungsmotive in der ungarischen Romantik und ihre Beziehungen zur deutschen Poesie der Jahrhundertwende.“ In: Tarn6i,Läszlö: Parallelen, Kontakte und Kontraste. Budapest: 1998, S. 213-217. + 213