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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 schließlich doch noch ins Happy End'” umschlug, um damit die Tränen der empfindsamen Leserinnen trocknen zu lassen. Ob die tatsächlichen genetischen Beziehungen direkter oder indirekter Art wären (eventuell bei deren Rückführung auf andere Quellen), sei hier offen gelassen. Ganz anders sind die Ungarnbeziehungen der Margit-Novelle von 1833 motiviert: Laut Untertitel ist sie Eine magyarische Erzählung aus unseren Zeiten und wurde auch ausdrücklich magyarischen Leserinnen geschrieben. In den einleitenden Worten des Schriftstellers wurden sie sogar in beiden Sprachen, deutsch und ungarisch angesprochen. Gruber begründete dabei seine Entscheidung, die Margit-Geschichte „den Schönen Ungarns“ schließlich doch nicht ungarisch, sondern deutsch erzählt zu haben, als eine Art Entschuldigung, indem er u. a. Folgendes in Worte fasste: „Dieses Werkchen weihe ich Euch achtungsvoll. Empfangt es, ich bitte, mit gutem Herzen, obich es gleich in deutscher Sprache geschrieben habe, wissend, dass nicht jedes Frauenzimmer magyarisch versteht.“'? Diese Worte von 1833 liefern wichtige Informationen über Ungarns zeitgenössische Kulturgeschichte. Erstens bedenke man, dass sich der bereits 73-jährige deutsche Dichter des Königreichs, der 50 Jahre lang zweifelsohne in dieser seiner Rolle zu den besten gehörte, und sich sein ganzes Leben hindurch mit stets uneingeschränkter Ungarnidentität der ungarischen Nation verpflichtet fühlte, und dieser seiner nationalen Einstellung immer wieder auch Ausdruck gab, plötzlich sich entschuldigen zu müssen glaubte, dass er auch sein letztes „Werkchen“ deutsch (d. h. in seiner Muttersprache) veröffentlichte. Der merkwürdige Fall belegt besonders deutlich, wie die ungarischen Intellektuellen zur Zeit der plötzlich eingetretenen kultursoziologischen Wende um 1830 die Deutschsprachigkeit des öffentlichen Lebens — die Kultur, ja sogar die Poesie miteinbegriffen — mit den damals angehenden frühen Vormärztendenzen Ungarns nicht vereinbaren konnten. Die allgemeine Konsequenz war bereits in den dreißiger Jahren, dass sich die nicht ungarisch schreibenden (aber sich der ungarischen Nation stets verpflichteten) Ungarndeutschen plötzlich nicht nur als fremdsprachige, sondern auch als fremde Bürger im Königreich haben empfinden müssen. Grubers Entschuldigung ist also auch als eine der vielen zeitgenössischen ungarndeutschen Reflexionen auf die aktuellen nationalen Forderungen der Ungarn in den Vormärzjahren zu verstehen.!° den ausführlichen Anmerkungen der ungarischen kritischen Ausgabe der Vörösmartywerke von 1960 keinerlei Hinweise. Ebd., S. 446-459. Dieses Happy End entstand plötzlich durch eine neu entstandene Liebe des Mädchens in einen dem Fürsten bis zum Verwechseln ähnlichen, nun aber standesgemäßen Liebhaber. Es sei mir erlaubt dies (mit dem Schillerwort aus der Egmontrezension) einen ‚Salto mortale‘ zu nennen, dieses Mal allerdings mit tatsächlichem tödlichem Ausgang für die epische Poesie. Gruber, Carl Anton von, Margit, unpaginierte S. (Hervorhebung L. T.) 1 Siehe dazu ausfithrlicher Kap. VI/3. + 208 +