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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 und Opferbereitschaft (Die Brautnacht an der grünen Eiche), von negativen Konsequenzen schlechter Erziehung (Antonie) und kaltherziger Verstellung und Liige (Marie) sollten offenbar gleichzeitig erziehen und Freude am Lesen bereiten. Interessant sind auch manche empfindsame ,,Skizzen“ Herdts, welche die Erzahlungen voneinander trennen, wie z. B. Der Zweifel, der einen sentimental meditativen Monolog in der Art des Jiinglings am Bache oder Des Mädchens Klage an das Donauufer verlegt, oder auch das Tagewerk, in dem der sich in Kontemplation ergehende Autor die lasterhafte vita activa der Großstadt mit dem offensichtlichen Erlebnishintergrund von Ofen und Pest anprangert. Die pathetische Deklamation des Stils verrät dabei manchmal den Schauspieler. Im Text scheinen nicht selten Worte eines leidenschaftlich agierenden Ferdinand durch.’ Moderner noch als Karl Herdts Gedanken und Skizzen waren am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Die Tageszeiten in mahlerischen ScenenDarstellungen von Norbert Purkhart und Rösler,? eine sentimentale Dorf- und Stadtidylle, deren städtische Partien, ohne Konkreta von Ofen und Pest zu verzeichnen, mit allen Details die Atmosphäre dieser von Tagesanbruch bis Mitternacht geschäftig pulsierenden Städte aufkommen lassen. Die Autoren verstanden mit den sprachlichen Ausdrucksmitteln äußerst effektvoll umzugehen. Nur darum konnte das merkwürdige Ensemble der empfindsam subjektiven Kontemplation und der angedeuteten prosaischen Wirklichkeit „pikante“ Spannungen wie in keinem anderen Prosawerk der Pest-Ofner deutschen Literatur vermitteln. Dies wusste auch der zeitgenössische anonyme Rezensent zu schätzen: [...] die Schilderungen des Morgens, Mittags, Abends, der Nacht [...] sind in der Auswahl und Zusammenstellung der vorgeführten Auftritte und Situationen eben so pikant als die Darstellung selbst lebhaft, blühend, interessant ist. Überdieß sind sie in einem reinen, reichen Deutsch, und in einer so wohlklingenden Prosa geschrieben, daß wir dreist behaupten dürfen, Ungarns deutsche Literatur habe nichts ähnliches aufzuweisen.” In den meisten Erzähltexten der zeitgenössischen trivialen Kunstprosa sind allerdings die stärksten Akzente auf didaktisch-erzieherische Komponenten gesetzt, so z. B. in den lehrhaft moralisierenden Erzählungen Molly und ” Über Herdt siehe auch Kap. VII/A. ® Die Tageszeiten in mahlerischen Scenen-Darstellungen geschildert von Chr(istophorus) Rösler u. Norb(ert) Purkhart. Ofen: Mit k. ungarischen Universitäts-Schriften, 1805, S. 64. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 534-558. Vgl. dazu auch Kapitelteil VIIT/4/c. ° Anonyme Rezension in: Ungrische Miscellen, 1807, H. 3. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 619. + 206 +