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IX. BELLETRISTISCHE PROSATEXTE DES DEUTSCHSPRACHIGEN UNGARN UM 1800 Man dürfte sogar in einigen Abhandlungen, Briefen, Reiseberichten und Reden mit politisch-weltanschaulicher, religiöser oder ökonomischer Thematik, ja sogar in einer ganzen Reihe von geschickt wirksamen Werbetexten der zeitgenössischen Journale mehr Poesie finden als in einigen der Spätaufklärung verpflichteten, vorallem lehrhaften und sicherlich weniger unterhaltenden Erzähltexten. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass man recht vielen „Prosaisten“ in verschiedenen Publikationen um 1800 immer wieder auch als echten „Poeten“ begegnen kann. (So z. B. Samuel Bredetzky, Johann Genersich, Jacob Glatz, Carl Anton von Gruber, Johann Karl Lübeck, Norbert Purkhart, Christoph Rösler und Johan Ludwig Schedius) Trotzdem beschränke ich mich (um mich nicht in der kosmischen Unendlichkeit zu verlieren) im Folgenden dem Titel dieses Kapitels entsprechend, nach denen es hier lediglich um „Dichtung“ sowie um „Belletristik“ gehe, ausschließlich mit Prosawerken, die zumindest nach den dichterischen Intentionen für Poesie gelten sollten. Den Briefen als potentiellen poetischen Texten wurde bereits mit einem Kapitel gedient, wie ich auch sonst immer wieder versuchte, manche Einblicke in einige möglicherweise auch unter poetischen Aspekten anspruchsvollere Reiseberichte, kritische Schriften und sonstige Abhandlungen zu gewähren. 2. KOMPARATISTISCHE ÜBERLEGUNGEN Es ist bekannt, dass Gedichte in der ungarischen Literaturgeschichte schon immer eine außerordentliche Bedeutung hatten. Der Ilyrische Reichtum, die Vielfalt der Formen, das Interesse für die aktuellen Tendenzen der europäischen Poesie, die Offenheit für die Aufnahme der Gedichte und die Bereitschaft diese zu verbreiten, war um 1800 auch für die Dichtung der Ungarndeutschen typisch. Bei einem Vergleich mit den Gedichten fällt es einem geradezu auf, wie wenig literarische Prosatexte dagegen die ungarndeutschen Schriftkünstler den Lesern anzubieten hatten. Allerdings ist dies auch das gleichzeitige ungarische Angebot betreffend kaum anders. Das Wenige trifft in beiden Fällen sowohl auf die Zahl der entsprechenden Publikationen wie auch auf das Sortiment, ja leider sogar auf die poetischen Qualitäten zu. Diese Parallele zwischen Ungarndeutschen und Ungarn fällt einem von dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert bis um 1830 schon aus dem Grunde auf, weil die belletristischen Prosatexte der gleichen Zeit von den Märchen über die Novellen und sonstige Erzähltexte bis zu den Romanen in der klassischen, romantischen und Biedermeier-Literatur der deutschen Länder (d. h. in allen Epochen der deutschen Literaturgeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) die Weltspitze erreichten. Diese und noch mehr die unzähligen Unterhaltungsromane und Erzählungen aus Deutschland überfluteten mit + 202 +