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7. BRIEFE IN VERSEN — DIE DEUTSCHE „EPISTEL-POESIE“ IN UNGARN UM 1800 Zusammengehörens, dem kathartisch wirkenden Erlebnis der Freundschaft, dem befreienden Gedanken, „Eines Freundes Freund zu sein“ — dieses Schillerwort sogar in einer Epistel zitiert** — eine außerordentliche, bis dahin unbekannte Bedeutung beigemessen. Dass mit der Freude an der Freundschaft auch die Empfindung von Sozialisierungsprozessen des früher isolierten Individuums sowie Glücksvorstellungen paradiesischer zwischenmenschlicher Beziehungen aufgeklärter Utopien einhergingen, wird in der ungarndeutschen Epistel-Poesie besonders deutlich. „Im Bund mit Euch“ ist man „wie Götter selig“? — so lautet dies in einem Gedicht von 1801 stellvertretend für viele andere. Dieses Gefühl der ungarndeutschen Epistel-Lyrik wurde jeweils mit vielfältigen intertextuellen Konnotationen variiert. Eigentlich ging es dabei meistens um verschiedene Rezepte für die aufgeklärte Genesung der Menschheit. Verbunden wurde dabei die Freundschaft mit Liebe und Natur, mit Harmonieempfindungen typischer Rokoko-Freuden an „Blumen“, „goldnem Wein“ und „Schäckereyen“,?” mit geselliger Vertrautheit bei gelöstem Gedankenaustausch®® oder sogar mit Vaterlandsliebe und dem gemeinsam erlebten „Sinn zum Guten und zum Schönen“. ?? Einen besonderen inhaltstypologischen Stellenwert haben diejenigen Vorstellungen dieser Epistel-Poesie, die auch mit manchen der deutschen frühaufgeklärten belletristischen Werke korrespondierend die glückverheißende UtopieineinekleineGruppevon verständigen, tugendhaften und von der schwerkranken Gesellschaft der Höfe und der Städte getrennten naturverbundenen Menschen setzen. In einer ungarndeutschen Epistel wird allerdings diese Trennung sogar auch moderneren Ansprüchen gerecht, sollten darin ja diese wenigen Auserwählten nicht von den „Mauren“ der Alpen,* Im 5. Vers der Epistel von Johann Georg Schmitz, erschienen u. d. T. „Dank-Adresse an meinen Arzt und Freund, Herrn Flittner, Comitatschirurgus in der Zips“. In: MusenAlmanach von und für Ungarn auf das Jahr 1808, hg. von Karl Georg Rumi, Leutschau, 1808, S. 30. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 263. Lübeck, Johann Karl: Epistel an Rösler. In: Musenalmanach für Ungarn auf das Jahr 1801, S. 163-167. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 197-200. 36 Nitsch, Karl Daniel: Epistel an die Fr. G. Karwinßky, geb. Freyin von Gleichen. Ebd., S. 117120, 214. 37 Lübeck, Epistel an Rösler, S. 163-167, 197-200. 38 Halitzky, Andreas Friedrich: Epistel an Ign. Frölich. Pest d. 1. Mai 1795. In: MusenAlmanach von und für Ungern auf das Jahr 1804. Hg. v. Christoph Rösler. Pest: Verlag bei Konrad Adolph Hartleben, 1804, S. 33 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 149. Mehr über dieses Gedicht siehe im Kap. III/6. 3° Artner, Therese: Theonens Antwort. In: Zeitschrift von und fiir Ungern, 1803, Bd. 3, S. 405, sowie im Neuen Teutschen Merkur, 1804, H. 6, S. 109 f. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 1, S. 54. Mehr iiber dieses Sonett von Therese Artner siehe im Kap. XI/5. 10 Vgl. dazu Albrecht von Hallers Lehrgedicht von 1729. + 197 +