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8. AUGENZEUGENBERICHTE DEUTSCHER UND UNGARNDEUTSCHER THEATERBESUCHER... vorgepragter Ungarnschemata, in einigen Fallen sogar mit sonstigen persönlichen Erlebnissen, die so gut wie nichts mit dem besprochenen Schauspiel zu tun hatten. Im ersten Jahrzehnt des 19 Jahrhunderts wurde z. B. im Kreutzer-Iheater die lustige Parodie des Turandot von Carlo Gozzi’* unter dem Titel Die drei Räthseln aus China oder Kasperls glücklicher Tag. Ein blos zum Lachen eingerichtetes Lustspiel dank ihrem Erfolg beim Publikum wiederholt gespielt.” Allein der Wiener Ignaz Castelli fühlte sich höchst unwohl beim Erleben des witzigen Kasperle-Stückes in Pest: Im Theater stellte er nämlich fest, dass ihm „seine ganze Barschaft“ gestohlen wurde. Da verlor er, der Freund der Wiener Vorstadttheater plötzlich seinen bekannten Sinn für Humor, sein besonderes Interesse für Parodien und auch für die in Wien und Preßburg nicht anders geläufigen, gewiss recht einfältigen Kasperle-Tricks. Was aus dem ehemaligen Erfolgsstück für uns, die Nachwelt, erhalten blieb, waren schließlich die Jahre später verfassten, doch immer noch lebendigen Erinnerungen von Castelli mit Prädikaten wie „unflätig“ bzw. „kolossale Niederträchtigkeit“ sowie Beweisführungen dafür „wie tief ein Thespiskarren in den Kot versinken könne“.?° Graf von Hofmannsegg aus Dresden gehörte diesbezüglich gewiss zu den wenigen differenzierteren ausländischen Kritikern. Er hielt sich 17931794 im Königreich (vor allem in seiner Hauptstadt) zwangsweise auf, trotzdem brachte er den Landesbewohnern und deren Kultur ein stets offenes persönliches Interesse entgegen, wobei seine ausführlichen Berichte darüber den Lesern heute noch ein ausgewogenes Urteil vermitteln mögen. In den Pest-Ofener 'Iheatern waren nach ihm „die Akteurs und Sänger im Ganzen mittelmäßig, einzelne sehr gut und sehr schlecht“.®? Dabei fiel sein summarisches Urteil doch etwas besser aus, indem er nach wiederholten Theaterbesuchen die Ofner und Pester Schauspielgesellschaft im Ganzen schließlich „unter die besten der mittelmafigen“* rechnete und im Einzelnen sogar in einer detaillierten Besprechung der Aufführung der Zauberflöte im In der „Rondelle“ und im Schlosstheater wurde das originale Drama u. a. auch in der Schillerschen Bearbeitung gespielt. Vgl. dazu Belitska Scholz / Somorjai, Deutsche Theater, Bd. 2, S. 830. Siehe auch Kádár, A budai és pesti német színészet, S. 126. 79 Siehe ebd., S. 133; sowie Belitska Scholz / Somorjai, Das Kreuzer-Iheater, S. 45. Castelli, Ignaz Franz: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes. Erlebtes und Erstrebtes, Bd. 1, München / Berlin: G. Müller, 1913, S. 150 f. Der Graf wurde kurz nach seiner Ankunft der Spionage für das revolutionáre Frankreich verdächtigt. Deshalb durfte er das Land nahezu ein ganzes Jahr lang nicht verlassen. Reisen des Grafen Hofmannsegg, S. 116. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 221. ® Ebd., S. 105. bzw. S. 215. + 183 +