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3. DIE VERUNSICHERTE IDENTITAT — POESIE ENTTAUSCHTER DEUTSCHUNGARN Dichter Steinacker gegen den Ausklang des Gedichtes nichts weiteres mehr übrig zu bleiben, als im Namen aller Bewohner des Karpatenbeckens die rührende Bitte — natürlich ohne jedes Ergebnis — in Worte zu fassen: Gönnt dem Deutschen, gönnt dem Slaven immerhin ihr freies Wort, Öffnet nur erst dem Gedanken einen sichern Friedensport. Drängt nicht mit Gewalt den Bruder, dass er seinen Stamm verlässt, Doch allmälig und mit Liebe knüpft ihn an den euern fest. Diese ungelöste Spannung der ungarndeutschen Dichter führte notwendiger Weise zum (wie Szabolcs Boronkay dies bezeichnete) „Verfremdetsein durch Deutschsprachigkeit“.*° Was das eigentlich heißt, hat in jenen Jahren niemand so überzeugend in Worte gefasst, wie der besonders begabte Leopold Petz. In seinem einzigartigen Gedicht über die Muttersprache verstand er die Diskriminierung der deutschen Dichter in Ungarn sowie das Nichtverstandenwerden der deutschsprachigen Ungarn in Deutschland mit zurückhaltender Deutlichkeit nachempfinden zu lassen, gleichzeitig aber auch die besonderen Leistungen der magyarischen Zeitgenossen anzuerkennen und mit einer Art verständnisvoll elegischer Attitüde Sinn und Sinnlosigkeit der eigenen — deutschsprachigen — poetischen Begabung in Ungarn zum Ausdruck zu bringen: Hier umgibt uns ein Volk, das der deutschen Zunge verfolget, Endlich vom Schlummer erwacht, selber ein Pantheon baut. Deutschland mag uns als Fremdlinge nicht! Nun sollen wir schweigen Oder stammeln ein Wort, dem sich die Zunge versagt? Alle Sprachen sind schön, wenn Geist sich in ihrer Bewegung Flüchtig erscheinend verklärt, höhere Bildung verstreut. Aber nur eine vermag des Herzens Fesseln zu lösen, Tönet mit zaub’rischem Klang schmeichelnd ins horchende Ohr, Eine bleibet ewig der Liebling, in einer nur nehmen die Götter Ein vertrauend Gebet, das sie verherrlichet, an Eine nur präget ein ewiges Siegel auf jeden Gedanken, Beugt das geflügelte Wort, wie es die Seele verlangt. Dies ist die Sprache, so dass im Munde liebender Eltern Die uns aus thierischem Traum freundlich begrüßend geweckt.°! 5° Boronkay, Szabolcs: Bedeutungsverlust und Identitatskrise. Odenburgs deutschsprachige Literatur im 19. Jahrhundert. Bern / Berlin / Wien etc.: 2000, 335 S. Darin: Titel des Kapitelteils II/5: ,Verfremdetsein durch Deutschsprachigkeit“ (im Zusammenhang mit der Lyrik v. Leopold Petz). 51 Petz, Leopold: Die Muttersprache. In: P., L.: Nachgelassene Gedichte. Hg. v. Julius Petz. Ödenburg: Kultschar, 1847, S. 4. Zitiert von Szabolcs Boronkay. Ebd., S. 109. In: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 4, S. 369 f.