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VI. INHALTSTYPOLOGISCHE VERANDERUNGEN IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN DICHTUNG... Samuel von Ludvigh aus dem westungarischen Giins zeichnete z. B. ein ausführliches poetisches Bild von dem ungarischen Bauern.'? Dabei wirkten allerdings sämtliche Details, vom Hut bis zu den riesigen Mantelknöpfen, von den schwarz gelockten Haaren „glänzend vom triefendem Speck“ bis zu den „tüchtigen Schenkeln“ sowie von der übermäßig weiten leinenen Hose (wie merkwürdig „prächtig mit Spitzen besetzt“ und „unten am Ende gefranzt“) bis zu den „Sandalen beriemt, ungarisch Bakancs genannt“ äußerst grotesk. Jedenfalls müssen diese Bilder im Leser damals wie heute gewiss weniger Bewunderung, vielmehr aber verfremdendes Staunen ausgelöst haben. Je mehr dergleichen Einzelheiten vorgeführt wurden (die Schilderung umfasste nahezu drei Seiten!), umso mehr vertiefte und erweiterte sich die unüberbrückbare Kluft zwischen dem poetischen Gegenstand (dem Ungarn) und dem Iyrischen Subjekt (dem deutschsprachigen Dichter aus Ungarn). Die poetische Attitüde der Verfremdung machte sich bereits in den einleitenden Partien des Gedichtes bemerkbar, als schon der Anblick des ungarischen Schäfers ausdrücklich „Schauer“ und „Furcht“ zu erregen hatte: Schauriger ist wohl der Anblick des ungrischen Schäfers, hier: Gulyäs Als ein arkadischer Hirt, wie ihn uns Geßner gemalt. Fürchterlich steht er gestützet am bleybegossenen Stabe Ernsthaft stirrender [!] Blick sprühet des Inneren Muth. Aber auch in den Schlussversen der „Schäfer-Partien“ des Gedichtes verflochten sich „Angst“ und „Bewunderung“ mit distanzierender Wirkung miteinander: Wahrlich sein Anseh’n ist stürmisch, es wecket ein heimliches Bangen, Doch Bewund’rung verdient seine vollendete Kraft.'‘ Hier und jetzt trennt diesen Ungarndeutschen überhaupt nichts mehr von den deutschsprachigen Zeitgenossen jenseits der Leitha, die sich in ihrer Poesie bei allen qualitativen Unterschieden mit Vorliebe Exoten, Rossdieben, Zigeunern, Betyären, Schweinehirten etc. aus dem nahen Ungarnland zuwandten. Man braucht nur in den von Heckenast in Pesth veröffentlichten außerordentlich geschmackvollen Bänden der Iris in den vierziger Jahren zu blättern, um einer ganzen Reihe von österreichischen KönigreichSympathisanten zu begegnen, die ihr besonderes Interesse für Land und Leute mit unzähligen poetischen Charakterzeichnungen aus dem Lande 155 Ludvigh, Samuel von, Reise nach Füred, S. 172 ff. 16 Ebd., Hervorhebungen L. T. + 142 +