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IV. ELEGIE AN MEIN VATERLAND... Dichter, vielmehr aus der Entstehungszeit des deutschen und des ungarischen Gedichtes.) Beachtenswert sind außerdem die Konsequenzen, die sich aus dem unterschiedlichen Genre der zwei belletristischen Texte ergeben: Der entsprechende deutsche Text als (,wehmutherfüllte“, empfindsame) Einleitung und (,seelige Zeiten“ verheißender) Ausklang eines langen Gedichtes besteht aus zwei voneinander getrennten Teilen und hat die Funktion, die poetische Attitüde einer wirksamen Elegie zu untermalen. Dagegen verdichtet und verbindet der ungarische Dichter die beiden Teile (je zwei Distichen) auf das engste miteinander, um somit die innere Spannung der epigrammatischen Antithese auf das höchste zu treiben und deren Lösung schließlich kathartisch wirken zu lassen. Trotz solcher und ähnlicher Abweichungen beweisen die vielfältigen intertextuellen Zusammenhänge im Inhalt, in der thematischen Struktur und in der Versform eindeutig, dass die beiden Gedichte genetisch eng miteinander verbunden sind: Das heißt in diesem Fall, dass sich Ferenc Kölcsey zur Entstehungszeit der beiden Varianten seines ungarischen Epigramms (18258 bzw. 1831) von der 1807 erschienenen deutschen Elegie seines ungarndeutschen Vorgängers direkt oder (was weniger wahrscheinlich ist) durch einen unbekannten ungarndeutschen oder ungarischen Vermittler indirekt tief beeindrucken ließ. Man kann auch die Möglichkeit nicht gänzlich ausschließen, dass sich beide Verfasser (Kölcsey und der ungarndeutsche Dichter) unabhängig voneinander auf eine dritte, für uns bislang unbekannte Quelle (aus einer Zeit vor 1807) stützten. Freilich kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Kölcsey und sein deutschsprachiger Landsmann Goethes Schatzgräber gelesen haben. Das Erlebnis dieser seither allgemein bekannten klassischen Ballade hätte aber die beiden Ungarn höchstens darin bestätigen können, dass der kathartisch überraschende thematische Wechsel der Bilder, der Stimmung und der Aussage —- sogar durch den plötzlich eintretenden Wandel des „Gespenstischen“ in einer nächtlichen Beschwörungsszene - mit hoher Wirksamkeit der jeweiligen poetischen Botschaft dienen könne. Mit der wahrscheinlichen Kenntnis und der möglichen Schätzung dieser Goetheballade könnten allerdings die außerordentlich vielen intertextuellen Beziehungen der beiden Gedichte aus dem Königreich zueinander keineswegs erklärt werden. Die tatsächlichen engen Beziehungen zwischen der 1807 erschienenen ungarndeutschen Elegie und den beiden Varianten des Kölcsey-Epigramms beweisen, dass die Verflechtungen der zeitgenössischen ungarischen und deutschsprachigen Dichtung in Ungarn in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wesentlich enger waren, als sie bislang von den ungarischen 133 Kölcsey, Ferenc: Régi várban [In einer deutschen Burg], 1825. In: K. F. minden munkái, S. 139. e 112 e