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II. DEUTSCHSPRACHIGES LITERARISCHES LEBEN IN OFEN UND PEST UM 1800 Der geringe Preis, um welchen man alle in einem dergleichen Cabinet enthaltene Bücher haben kann, verursacht, daß junge Studenten, Bürgersöhne und Töchter, Dienstleute u. s. w. Bücher aus demselben nehmen und öfters solche Werke in Händen bekommen, die bey ihnen unbekannte Leidenschaften erregen, dieselben, da sie den wahren Sinn davon nicht verstehen, verführen und allerlei üble Folgen nach sich ziehen. Und weiter unten steht noch Folgendes: Selbst unter den Büchern, die in der Rubrik der zugelassenen stehen, giebt es (wie die Statthalterey wohl gut bemerkt) viele Romanen und auch andere Bücher, welche besonders, wenn sie nicht mit Nachdenken gelesen, oder ihr Sinn falsch verstanden wird, bey die [!] Bürger und der niedrigern Volksklasse Verderbniß der Sitten und üble Grundsätze verbreiten können." Die Worte kritischen Bedenkens dieser Art verweisen somit bereits von den mittachtziger Jahren an indirekt, aber eigentlich doch recht deutlich auch auf die möglicherweise wichtigste Komponente des literarischen Lebens, nämlich auf die zunehmende Zahl der gedruckten Texte bei einer immer breiteren kultursoziologischen Auffächerung der Nachfrage. Die Voraussetzung dafür ist ja in erster Linie der Leser. Man beachte in den von Arndt und dem Palatin zitierten Worten den gesellschaftlichen Stand der Konsumenten von literarischen Texten angeblich „niedrigeren“ Bildungsniveaus: Sie seien u. a. Bürgertöchter, Lakaien, Frisöre, Dienstleute gewesen, also lauter Stadtbewohner, die meisten von ihnen jedoch im Vergleich zum urbanen Durchschnitt auch von geringerer Bildung. (Nebenbei sei bemerkt, dass z. B. Frisöre ihrem Ansehen nach unter den Handwerkern viel niedriger eingestuft waren als etwa Uhrmacher.!‘) Aber sie alle konnten lesen und machten von diesen ihrer Kenntnisse auch gerne Gebrauch. Den kritischen Worten kann man außerdem wiederholt entnehmen, dass diese und andere Bürger bereits von den achtziger Jahren an Mitglieder verschiedener Lesegesellschaften, Leseinstitute - und wie es oft hieß - „LeseCabinete“ waren, weiterhin dass Kovachich in seinen oben zitierten Worten beialler scharfen Kritik die Anerkennung der - wie er schrieb - „Lesebegierde“ seiner Landsleute nicht unterdrücken konnte. Mit einem ähnlichen Ausdruck 15 Brief des Palatins Joseph an seine Majestät, den 18. 06. 1798. In: József nádor iratai [Akten des Palatins Joseph]. Hg. u. Anm. v. Sandor Domanovszky, Bd. 1, 1792-1804. Budapest: Magyar Történelmi Társulat, 1925, S. 222-224. Zitiert in: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 228. 16 Siehe dazu Rachschiml, Michael: Briefe an seinem [sic!] Herrn Vetter in Tschepele. In: Ofen und Pester Extrablatl., Ofen: 1803, 2. Heft, 12. Brief. Zitiert in: Deutschsprachige Texte aus Ungarn, Bd. 3, S. 349. Vgl. auch Kap. IX/4. s 42 e