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RICHARD SOYER — STEFAN SCHUMANN

QUO VADIS

Bietet die Ebene des Völkerstrafrechts Abhilfe? Das materielle Völkerstrafrecht
fokussiert Verbrechen im Rahmen militärischer, zumindest aber gewaltsamer
ethnischer Konflikte. Es hat seine Geburtsstunde in den Nürnberger Kriegsver¬
brecherprozessen, fußt aber zugleich auf dem Genfer humanitären Völkerrecht
und der Haager Landkriegsordnung und steht auch vor dem als Misserfolg ange¬
sehenen innerstaatlichen Ansatz der strafrechtlichen Aufarbeitung der Vorwürfe
von deutschen Kriegsverbrechen nach dem Ersten Weltkrieg in den sogenann¬
ten Leipziger Prozessen. Folgten noch die ad hoc-Tribunale für Jugoslawien und
Ruanda dem zentralistischen Ansatz, legten schon der Special Court for Sierra
Leone und die Khmer Rouge-Kammern als hybride Formen einen starken Fokus
auf die innerstaatliche Aufarbeitung. Für die Befriedungsfunktion der strafrecht¬
lichen Aufarbeitung gesellschaftlicher Konflikte erweist sich die innerstaatliche
Perspektive als ganz wesentlich. Diesem Gedanken folgten im Übrigen ja auch die
Wahrheitskommissionen, die in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die straf¬
rechtliche Aufarbeitung von diktatorischen Regimes ergänzten, teils substituier¬
ten. Eine Probe für die Leistungsfähigkeit des innerstaatlichen Rechts bildete auch
die (im Detail auch umstrittene) Aufarbeitung von DDR-Unrecht durch Gerichte
der Bundesrepublik Deutschland.

Was bedeutet all dies für die Möglichkeit einer Sanktionierung der Verlet¬
zung von Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards durch transnationale
Unternehmen? Zunächst einmal die Feststellung, dass die Erfassung von Ver¬
letzungen der Sozial- und Umweltstandards eine Erweiterung des Fokus eines
materiellen Völkerstrafrechts darstellen könnte. Einen denkbaren gemeinsamen
Ausgangspunkt des traditionellen wie eines solcherart potentiell erweiterten
(Wirtschaftts-)Völkerstrafrechts würde dessen Einordnung als zentrales Men¬
schenrechtsschutz-Regulativ bieten. Die Forderungen nach einer Einführung
eines expliziten internationalen Straftatbestandes des „Ökozids“?? reichen schon
vor das Inkrafttreten des Römischen Statuts zurück, haben es seit dessen Ent¬
wicklung”? und Inkrafttreten begleitet und in den letzten Jahren weiter an Fahrt
aufgenommen. Insbesondere durch den Klimawandel bedrohte Inselstaaten?*

2 Siehe Mark A. Gray, The International Crime of Ecocide, California Western International

Law Journal 26 (1996), 215 (258, Fn. 261).

Siehe Art. 22 Abs. 2 lit. d des von der International Law Commission 1994 vorgelegten

Draft Statute for an International Criminal Court, Yearbook of the International Law

Commission, vol. Il, Part Two, 1994, 39.

4 Siehe die Erklärungen Vanatus, https://asp.icc-cpi.int/iccdocs/asp_docs/ASP18/
GD.VAN.2.12.pdf (abgerufen 08.10.2021), und der Malediven, https://asp.icc-cpi.int/
iccdocs/asp_docs/ASP18/GD.MDV.3.12.pdf (abgerufen 08.10.2021), auf der 18. Sitzung der
Vertragsstaaten des Römischen Statuts 2019.

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